4. Lesermeinung: Actionreiches Kopfkino
TATORT GLASHAUS – Autor WALTHER STONET
Buchbesprechung von Catrin Ponciano
Das Kriminalromandebüt von Walther Stonet führt ins beschauliche Tübingen und entführt Leserinnen und Leser mitten hinein in das Organisierte Verbrechen. Explizit zur italienischen Mafiaorganisation `Ndrangheta mit ihren kalabrischen Bossen, die der Mafia-Sonderkommission, der Oberstaatsanwältin sowie dem ehemaligen und derzeit beurlaubten früheren Leiter der Soko den Kampf ansagen.
Wie, mag man sich fragen, die Mafia? Gibt es die heutzutage denn überhaupt noch.
Dank dem von Stonet wohl ausgefeilten Plot merken wir, es gibt sie und sie ist nach wie vor gefährlich aktiv. Eine Frauenleiche führt die ermittelnde neue Leiterin der Mafia-Soko zusammen mit der Oberstaatsanwältin direkt auf die Spur der `Ndrangheta und zu einem Anwalt, der viel mehr über die Hintergründe des Mordes und die verschachtelte Mafia-Struktur, die hinter der Tat steht, weiß, als ihm genehm sein kann. Dem Anwalt ist klar, er sollte besser schweigen.
Die Soko gemeinsam mit der Oberstaatsanwältin wenden sich hilfesuchend an den derzeit beurlaubten Kollegen und ehemaligen Leiter der Soko, Graf TJ von Brühlsdorf, der seinerzeit etliche Verbrechen der ´Ndrangheta aufgedeckt und die Struktur in Tübingen massiv gestört hat. Die Botschaft der Kalabrischen Bosse kam postwendend. Niemand legt sich mit ihnen an, auch ein Graf nicht, und die Ermittlungen endeten nach einem Anschlag auf TJ von Brühlsdorf und mit dem Tod von Kronzeugen. Ohne Zeugen, keine Anklage.
Seither lebt der Graf zurückgezogen, physisch und psychisch traumatisiert, und versucht, sein Seelenheil wieder in Gleichgewicht zu bringen.
Das Hilfegesuch reißt sämtliche Erinnerungswunden an den damaligen Fall und an den Anschlag neu auf. Die Begegnungen mit seinen ehemaligen und einer neuen Kollegin sowie mit der damals ermittelnden Staatsanwältin fordern den Grafen letztlich doch heraus, sich und seine Erfahrung mit der `Ndrangheta einzubringen. Seines Erachtens passen einige Indizien nicht zusammen, sie ergeben für ihn, dem die Mafia-Methoden wohl bekannt sind, keinen Sinn. Deswegen macht er sich auf eigene Faust auf den Weg, um sich Klarheit über zu verschaffen.
Doch kaum wird bekannt, dass der Graf erneut polizeilich mitmischt, erschüttern gleich mehrere Anschläge auf die Ermittler und ihr Umfeld das Team. Die Botschaft ist ein neuerlicher Einschüchterungsversuch, damit die laufenden Ermittlungen gegen ein Mafiamitglied in Zusammenhang mit der Frauenleiche eingestellt werden. Den Kalabrischen Bossen ist es nämlich sehr daran gelegen, dass die Widersprüchlichkeiten widersprüchlich bleiben, und die Polizei nicht zum tatsächlichen Hintergrund der Tat führen. Doch sie haben nicht mit der Hartnäckigkeit des Grafen und seines Teams gerechnet – und schon gar nicht mit dem Mut des Anwalts, sich doch noch auf die richtige Seite der Justiz zu stellen.
Als Lesende stelle ich mir bis zum Schluss die Frage, wird der Graf mit seinem Team es dieses Mal schaffen, oder wird es der Mafia mit ihren Methoden wiederum gelingen, die Justiz ihrem Willen zu unterwerfen, was großes Lesevergnügen bereitet. Die von Autor Stonet entwickelten Figuren tragen die Geschichte und noch mehr die Geschehnisse darin. Ihren Eigenwilligkeiten verdankt der Plot sein Tempo, sein stilistisches Sprachniveau, und seinen gut angespitzten Humor. Stonet setzt sich in die Köpfe und Herzen seiner Hauptfiguren und beschert den Leserinnen und Lesern somit einen kaleidoskopischen Rundblick auf alle Beteiligten und Szenen. Dadurch entsteht ein aktionsreiches Kopfkino sowie ein kräftiger Sog, den Stonet bis zum Schluss aufrecht hält.