Zweite Lesermeinung: Wenn im Glashaus die Kugeln fliegen
Markus Grundtner, Wien, Autor von “Die Dringlichkeit der Dinge“, Longlist des Österreichischen Buchpreises 2022
Walther Stonet, Tatort Glashaus, Roman, Reutlingen 2022, Oertel + Spörer, ISBN 978-3965551213, 416 Seiten, Taschenbuch, € 13,95
Es ist immer ein besonderer Moment, wenn ein neuer Ermittler geboren wird, manchmal aber auch ein sehr blutiger. Tankred-Jürg Graf Brühlsdorf, Kriminalhauptkommissar a. D., hat aufgrund seiner adeligen Herkunft einerseits viel blaues Blut in sich, andererseits aber auch schon sehr viel davon verloren – und zwar bei einem Spezialeinsatz gegen das organisierte Verbrechen, um einen Anschlag auf die Kronzeugen eines Mafia-Prozesses abzuwehren.
Seine Genesungszeit verbringt er zurückgezogen in seinem Anwesen – er, ein vielbeschäftigter und vielinteressierter Mann, der immer für einen Sinnspruch gut ist, ein Renaissance-Mensch sozusagen, studiert alles Mögliche, kann aber auch nicht davon ablassen, Verbrechen aufzuklären, insbesondere, wenn es Verbrechen sind, die wieder die Verletzungen aus seiner Vergangenheit öffnen.
Gegen TJ Brühlsdorf arbeiten die Schergen der südwestdeutschen N’drangheta, mit ihm zusammen arbeiten die ermittelnde Oberstaatsanwältin, die neue Leiterin der Mafia-Sonderkommission und ein treuer Hacker im Rollstuhl. Aus dem geheimen Einsatzzentrum von Brühlsdorfs Villa versuchen sie dem mysteriösen Ableben einer Nachtclub-Schönheit auf den Grund zu gehen, und dabei unter anderem aufzuklären, ob die junge Verführerin in die Unterwelt verstrickt oder verwurzelt oder nicht vielleicht doch gleich beides auf einmal war.
Das ansprechende Cover samt ansprechendem Titel des Cyber-Kriminalromans von Walther Stonet kündigt bereits an, dass nicht nur Steine fliegen in diesem Glashaus voller Techtelmechtel, Täuschungen, Täter und Toten. Das in lockerem Krimi-Ton gehaltene Buch wird einmal kriminologisch-analytisch, einmal knisternd-erotisch und dann wieder knallhart – der Erzähler wendet den Blick nicht ab, wenn es blutig wird und die Wunden sprießen. Es ist eine schnörkellose Angelegenheit, die hier auf die Leserschaft wartet.
Aufgrund des Hintergrunds der Cyberkriminalität und der körperlichen Versehrtheit des Chef-Ermittlers spielt sich unmittelbar auch vieles vor Bildschirmen ab, ein Regionalkrimi im baden-württembergischen Landkreis Tübingen bleibt „Tatort Glashaus“ dennoch. Alles in allem ist es ein vielversprechender Einstieg für jenen Liebhaber des Genres, für den es ordentlich krachen und feurig knistern muss.