Reutlinger Generalanzeiger

Reutlinger GEA am 07.09.2022: Die Sprache macht uns aus – Das ungekürzte Interview.

Der Metzinger Vielfalt-Literat Walther Stonet über den Zauber der Worte und die Wahrheit hinter den Masken

Das PDF des Orginals: http://bruehlsdorf.com/wp-content/uploads/2022/09/Stonet.pdf

Das Interview führte Markus Pfisterer, Redakteur für den Regionalteil Metzingen, bei Reutlinger Generalanzeiger am 5. September 2022 in den Räumen der Metzinger Redaktion. Wir danken, dass wir das ganze Interview hier präsentieren dürfen.

  • Seit wann bannt Sie der Zauber der Sprache, seit wann lesen und seit wann schreiben Sie?

Erste Schreibversuche muss es bereits ziemlich früh gegeben haben. Das erste Gedicht, das ich aus wiedergefundenen Notizen irgendwann in den Dreißigern meiner Tante zum Abschreiben gab – zusammen mit vielen Zetteln und einigen Ringbüchern – habe ich mit 14 verfasst.

Lesen? Seit ich lesen konnte, habe ich alles verschlungen, was mir unter die Hände und vor die kurzsichtigen Augen kam.

  • Was bannt Sie an der Sprache?

Sie macht uns aus, nicht wahr? Die Sprache ist der Kulturträger. Sie hat es ermöglicht, uns über uns selbst und alles Gedanken zu machen, was uns umgibt – und das, welch ein Wunder, welch eine Errungenschaft, auch noch mitzuteilen!

Das ganz Erstaunliche war die Erkenntnis, das überraschende Verstehen, dass man mit ihr, der Sprache, spielen kann. Man kann sie tanzen lassen, kann sie verballhornen, kann Bilder mit ihr malen, kann Blödsinn und Witze machen. Und die Liebe erklären!

Irgendwann verstand ich, dass man sie auch als Waffe missbrauchen konnte und schlimme Dinge mit ihr anrichten. Denn auch die Lüge ist Sprache. Das hat mich sehr nachdenklich gemacht. Heute versuche ich, die Sprache zu beschützen, wo ich es kann.

  • Ist das Schreiben mehr Ihre Berufung als die IT, Ihr Beruf? Oder ist es Beruf und Berufung gleichzeitig? Seit wann arbeiten Sie im IT-Bereich?

Das Schöne an meinen Berufen, ich hatte ja mehrere Karrieren, manche parallel, war und ist, dass die Sprache immer ein wesentlicher Bestandteil meiner Arbeit war. Das ist sie eigentlich bei uns allen. Aber allzu oft vergessen wir es, dass dem so ist.

Wenn Sie komplexe Sachverhalten Menschen erklären möchten, die nicht vom Fach, aber dennoch Betroffene und sogar Entscheider sind, reflektieren Sie sehr viel über Sprache, glauben Sie es mir. Sie müssen Mittel, Wege und Formen finden, diesen Zwischenraum zu überbrücken. Dafür gibt es einen Fachbegriff: Storytelling, auf Deutsch: Geschichtenerzählen. Haben Sie schon mal die Bibel etwas anders gelesen? Wie wird dort Weisheit und Glauben vermittelt? Richtig, mit Geschichten.

Seit wann ich im IT-Bereich arbeite? Sie werden es kaum glauben: Ich habe in der 12. Klasse am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in einer Informatik AG an einem Matrizenrechner meine ersten Programme gesteckt. Seither hat mich die IT und die Elektronik/Elektrik nicht mehr losgelassen. Auch wenn ich auf den ersten Blick im Studium, ich bin Diplom-Volkswirt, damit nichts am Hut hatte. Ich habe allerdings neben dem Studium auf eigene Initiative hin programmieren gelernt.

Warum ich schreibe? Die Lyrik wurde mir zum mehr oder minder gereimten Tagebuch. Entäußerung schafft Distanz. Aus der Distanz erwächst Erkenntnis. Heute erfreuen ca. 2.000 Sonette und ungefähr die gleiche Zahl anderer kleiner Textwerke meine Festplatte. Einige sind über Bücher, Foren, Zeitschriften und Anthologien in die Welt gezogen. Die anderen warten noch darauf.

Irgendwann begann ich auch Belletristik zu verfassen. Zuerst waren es Rezensionen, Kommentare, Berichte und Essays. Ich habe für meine Essays zu den Themenbereichen Disruption, Convenience und Digitale Selbstbestimmung bereits einen Preis erhalten. Über die lang vergessene Kurzgeschichte kam ich irgendwann zum Roman.

  • Geht’s bei zugetextet.com darum, batgenes.com, bruehlsdorf.com und anderen Online-Auftritten darum, beides zu verbinden?

Mein Feuilleton und Literaturmagazin-Projekt zugetextet.com ist logische Fortsetzung meines Faibles für Journalistik sowie Literatur- und Kunstförderung. Während meines Studiums habe ich eine Studentenzeitung mit herausgegeben und am Periodikum einer politischen Jugendorganisation mitgewirkt. Außerdem war ich freier Mitarbeiter vom Mannheimer Morgen und Rheinpfalz. Ich habe Kurzgeschichtenwettbewerbe organisiert und Literaturcamps mit Lesungen z.B. in Engstingen zur Zeit der Diskussion des NATO-Doppelbeschlusses.

Im Jahr 2003 habe ich bei einer Literaturzeitschrift die Lyrikredaktion übernommen und 23 Ausgaben bis Mitte 2015 fortgeführt. Zugetextet.com, diesmal als Herausgeber und Financier schloss sich im August 2015 daran an.

Meine Autorenseiten promoten meine eigenen Literaturprojekte. Sie haben mit der Arbeit eigentlich direkt nichts zu tun. Aber natürlich profitieren meiner Romane von meinen breiten technologischen Kenntnissen nicht nur in der IT. Wenn ich über Technik schreibe, muss ich meist wenig recherchieren. Das ist sicherlich ein großer Vorteil.

Darüber hinaus verstehe ich wirtschaftliche, politische, rechtliche und soziale Zusammenhänge. Das bringen mein Beruf, meine Hobbys, meine Ausbildung und mein Herkommen so mit sich. Dies alles abgeschmeckt mit einer nicht geringen Lebenserfahrung und einer überbordenden Fantasie schaffen den Rahmen und die Tiefe meiner Geschichten und Romane.

  • Was waren/sind Ihre Hintergedanken bei diesen?

Die bessere amerikanische Literatur, die ich als Original, also in Englisch, lese, hat nicht nur Unterhaltung zum Gegenstand. Sie ist immer auch Instrument der Welterklärung und der Volksbildung. Auch wenn ich deutsche Geschichten auf Deutsch erzähle, ist mein Schreiben so besehen amerikanisch beeinflusst.

  • Sie haben schon 2014 Lyrik in Print herausgegeben. Was macht für Sie den Reiz des gedruckten und gebundenen Wortes aus?

Wenn das erste eigene Buch in einem echten Verlag erschienen ist, ändert sich die Perspektive auf das eigene Schreiben. Man schreibt endgültig nicht mehr nur für sich selbst.

  • Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Regionalkrimis zu schreiben?

Ich hatte irgendwann diesen Protagonisten TJ Brühlsdorf im Kopf. Man könnte fast sagen, er hat mich herausgesucht, seine Abenteuer zu erzählen. Es gab also weder einen Plan noch eine Absicht. Die Figur war eines schönen Tages einfach „da“.

  • Es gibt bereits jede Menge Regionalkrimis. Was zeichnet speziell die Brühlsdorf-Krimis aus?

Die Frage ist verständlich, weil die Regionalkrimis überall regelrecht überhandzunehmen scheinen. Jede Autorin und jeder Autor werden darauf antworten, dass es genau diesen Helden oder diese Heldin bisher nicht gab. Und alle haben recht.

Was macht die Brühlsdorf-Reihe besonders? Sie erzählt in der realen Welt Geschichten, die sich wundersam mit Geschichten im Cyberraum und anderen technologischen Räumen verweben. Sie erklären dabei, was in diesen Räumen geschieht und wie das funktioniert. Vor allem machen sie klar, warum man dieses Teufelszeugs braucht und wo die Gefahren drohen, die von ihm ausgehen.

Daneben fiebern die Leserinnen und Lesern mit besonderen, originellen Menschen mit, die in diesen Romanen handeln. Keine und keiner ist ohne Fehler, alle haben gute und schlechte Seiten – und trotzdem machen sie manchmal bewunderungswerte und Ehrfurcht erheischende Dinge. Aber manchmal eben auch etwas ganz Dummes, Böses oder Verletzendes. Auch die, die Humor und Späße lieben, werden auf ihre Kosten kommen, garantiert.

  • Ist er rein fiktiv oder gibt es reale Bezüge?

Der Autor hat die gute und zugleich schlechte Eigenschaft, mit offenen Augen durch die Welt, seine Umwelt und sein Leben zu gehen. Er sieht hinter so manche Dinge, erkennt systemische Zusammenhänge und lässt sich nur noch sehr selten täuschen. Daraus folgt: alles ist ebenso fiktiv wie real. Es ist nie so passiert, wie es erzählt wird. Aber das Allermeiste geschieht mit großer Näherung genau so jeden Tag in der weiten oder fernen Nachbarschaft mit diesen oder anderen Handelnden.

So klein, wie dieser Planet heute ist: Es kann auch in Köln, Düsseldorf, Essen, München, Korntal, Trochtelfingen, Zwiefalten und Tübingen-Lustnau geschehen (sein). Diese Welt ist hinter der Fassade leider nicht immer ein guter, rechtschaffener und sicherer Ort. Das gilt heute mehr denn je – und war auch nie wirklich anders, nicht wahr?

  1. Finden Sie sich selbst in einer Figur wieder – und sei es nur von den Charakterzügen her?

Ein Autor verarbeitet immer Elemente von Menschen, die er gut kennt, in seinen Heldinnen und Helden. Wenn es einen Zug des Autors gibt, den er seinen Heldinnen und Helden gern mitgibt, dann den, dass es ein größeres Ganzes gibt, für das man Verantwortung übernehmen und das man schützen und heilen sollte, wo es Schaden genommen hat.

Er ist der festen Auffassung, dass eine Menschheit, die aus Ichlingen besteht, sich selbst die Lebensgrundlagen zerstören wird. Im Moment, das ist seine Diagnose, gibt es eindeutig zu viele, die auf dem Egotrip sind. Und das ist nicht gut für die Menschen – auch für die Ich-Fixierten unter ihnen übrigens. Den Ichlingen fehlt nur offensichtlich der Adressraum dafür, dass sie sich selbst ins Knie schießen.

In unseren Zeiten gibt es keine Garantie mehr, dass man für das, was man tut, nicht die Rechnung präsentiert bekommt. Das Verschieben auf die nächste Generation geht inzwischen fehl. Das liegt auch an der gestiegenen Lebenserwartung, aber nicht nur.

Leider muss man immer wieder auch die Zechen anderen mitbezahlen. Das ist ganz besonders ärgerlich.

Mein Testleser Reinold Hermanns, SWR Kulturredakteur i.R., nennt mich einen hoffnungslosen Romantiker. Klugen Menschen sollte man nicht widersprechen, habe ich mir zur Maxime gemacht. Daher kommt die Hoffnung und die Liebe in den Romanen nicht zu kurz.

  • Vielen Dank für Ihre Antworten!

Ich danke für die Fragen!

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